Testskript

Hockender Mann mit heruntergelassener Hose

[2006]

schiele ließ die maus erleichtert fallen und schob die tastatur weit von sich. endlich. nach 16 stunden konzentrierter bildschirmarbeit, hatte sie ihre erste computerzeichnung fertig und erleichtert den druckauftrag übers netzwerk an den drucker übergeben und versuchte, obwohl sie aus erfahrung wusste, dass die übertragung der gigabyte-datei etwas länger dauern würde, immer wieder aus den geräuschen des plotters einen eventuellen druckfortschritt herauszuhören.
wann würde dieser endlich damit beginnen, seine 4 druckköpfe gleichmäßig über das papier zu ziehen und in der folge den blick [zeile um zeile] auf das gedruckte endergebnis freizugeben.
diese ungeduld brachte natürlich nichts. denn erst dann und nur dann, wenn das bild in originalgröße ausgedruckt vor ihr an der wand hing, konnte sie überprüfen, ob komposition und form zu ihrer zufriedenheit gelungen waren. farbauftrag und farbwert war gesichert, das hatte sie schon in verschiedenen testdrucken ermittelt, aber die qualität von komposition und dichte einer arbeit konnte sie in der starken verkleinerung am bildschirm nicht wirklich beurteilen und nur wenn das erste blatt zu ihrer zufriedenheit ausfiel, konnte sie ihr konzept ohne unterbrechung abarbeiten. wenn nicht, dann – aber darüber zerbrach sie sich jetzt noch nicht den kopf.
das thema selbst hatte ihr keine schwierigkeiten bereitet, hatte sie eher amüsiert, denn schon beim lesen des bildtitels »stehendes mädchen mit erhobenem rock« war ihr sofort blitzartig, da sie ja immer zu widersprüchen neigte, der titel »hockender mann mit heruntergelassener hose« durch den kopf geschossen und aufbauend auf diesem einfall entwickelte sie ihre entwürfe zur serie in comix-manier. die rein sexuell oder mental allgemeingültige komponente dieses themas interessierte in diesem jahrtausend der moralischen freizügigkeit sowieso niemanden mehr wirklich. nur streng individuelle interpretationen und formal überraschende qualitäten bestimmten den wert einer künstlerischen arbeit und das war ihr nicht schlecht gelungen. scharf begrenzte formen und farben vor der ausdehnung eines unendlichen himmels, ein spiel mit figuren, posen und scheinbeziehungen in einer streng künstlerisch regulierten strich-, farb- und stilmatrix – eine arbeit so ganz nach ihrem geschmack.

© BILL WYMO [the snake]