Mythos Medienkunst
Oktober 2009:
Franz Xavers Interview mit GRAF+ZYX zum Thema Medienkunst, Ars Electronica und Internet in der Versorgerin der Linzer Stadtwerkstatt
Stadtwerkstatt versucht in einer neuen Interviewreihe verschiedene Positionen der Medien- und Videokunst zu beleuchten. Es geht vor allem um die Situation der Kunstschaffenden und den Einfluss der neuen Technologien von 1980 bis 1995. Gerade dieser Zeitabschnitt war für das Image von Linz und der ars electronica von Bedeutung. Die ars electronica hat sich damals den heutigen Stellenwert als Festival für Kunst und neue Technologien erarbeitet. Mit dem Ergebnis versuchte in Folge auch die Stadt Linz ihr Image von einer rußigen Stahlstadt in eine saubere Kulturstadt der Soft-, Hard- und Kunstware zu ändern. Als sichtbares Zeichen werden bis heute noch öffentliche Gebaeude jahrmarktähnlich beleuchtet. In dieser innovativen Zeit der ars electronica wurden die ästhetischen und philosophischen Überlegungen mit der Logik der Computerprogramme verknüpft, die dann interaktiv Kunstwerke steuerten.
Diese Spannung erzeugte einen Mythos rund um den Begriff der Medien- und Videokunst. In Folge wurde von der Stadt Linz ein Museum der Zukunft geschaffen. Wir sehen aber in einem Museum der Zukunft mit lückenhafter Vergangenheit keine museale Bedeutung. Vielmehr wäre die Aufarbeitung der österreichischen (aber auch internationalen) Medienkunst eine Grundvoraussetzung für eine Geschichtsschreibung der letzten 30 Jahre.
Stadtwerkstatt ist Zeitzeugin und verweist in diesem Sinn nochmals auf ihr Videoarchiv. Wie bei der Stadtwerkstatt lagert auch bei allen anderen östereichischen MedienkünstlerInnen anologes Bandmaterial, das jetzt, nach 30 Jahren, schon fast unbrauchbar ist.
Dieser einleitende Text ist die subjektive Meinung der Stadtwerkstatt und muss sich nicht mit der Meinung der befragten MedienKünsterInnen decken. Die Mail-Interviews führte Franz Xaver, Stadtwerkstattmitarbeiter seit 2008. Eröffnet wird die neue Reihe zur Medienkunst mit dem Wiener Künstlerduo Graf+Zyx.
Ihr wart vor dem Internet in der Kunst aktiv. Was hat sich durch das Internet für Euch geändert?
Ist für Euch durch das Internet etwas anders geworden?
Als Medium für die Kunst ist das Internet eines von vielen, mit neuen Möglichkeiten und vielen, primär technischen Beschränkungen. Wir setzen es ein, wenn diese Eigenschaften nützlich sind und genügen (z. B. Webclips auf Flash-Basis: http://amok.ix-o.com/poorcat).
In Bezug auf den Markt stellte das Internet das fertig, was mit der Videokunst begonnen hatte: die endgültige Demontage und Sinnentleerung des Begriffs »Original« in der Kunst und in einem weiteren Sinn auch ihrer Dokumentation (downloadbare PDF-Dateien vs. unsinnig teuer gedruckte Kataloge). Mit allen Verbindlichkeiten, Vor- und Nachteilen; dieser Vorgang war gar nicht akademisch, sondern hatte für Künstler existenzielle Auswirkungen. Im Vergleich zu z. B. Videoplastiken war man schon bei Videos bei einem damals üblichen Preis von 1.000 DM für eine U-Matic-Kopie auf Mehrfachverkäufe einer Arbeit angewiesen, um einen erwähnenswerten Teil der Produktionskosten wieder hereinzubekommen. Im Internet kann (audiovisuelle) Kunst noch viel leichter verbreitet und noch viel schwerer zu Geld gemacht werden. Das System treibt Künstler, um sich den Beruf überhaupt leisten zu können, endgültig in die filternden Hände von Sponsoren und Subventionsgebern und beim Verkauf in Abhängigkeiten von Massentrends, u. a. weil zur Zeit noch das Risiko, dass ein Webshop gecrackt wird, nur durch das Anpeilen von hohen Downloadzahlen bei niedrigen Einzelpreisen einkalkulierbar ist. So sind rein ökonomisch gesehen Netzkunst und im Internet publizierte Medienkunst heute - noch mehr, als es früher die Videokunst war - Werbeträger für traditionell verkaufbare Arbeiten oder Leistungen.
Ein unschlagbar revolutionärer Quantensprung war das Internet aber natürlich als nahezu kostenloses, weltweites, schnelles Publikationsmedium in Unabhängigkeit von Gunst und Bildungsgrad der Geldgeber und traditionellen Massenmedien.
Hier folgt zwangsläufig ein überzeugtes Plädoyer für die konsequente Bewahrung der Offenheit des Internets und - Spam hin oder her - seiner Kommunikationskanäle, die aber schon jetzt nicht zuletzt durch die (österreichische) Telekommunikationsgesetzgebung und den mit Unkenntnis gepaarten Ehrgeiz mancher Innenminister eingeschränkt wird.
In welchem Arbeitsbereich habt Ihr früher gearbeitet, wo steht Ihr heute?
Wir haben uns bereits Ende der 1970-er Jahre der »Ästhetisierung des Alltags« auf allen Gebieten einer Cross-Culture verschrieben. Unsere Arbeiten in den Bereichen Video/Computer/Laser/Webkunst und -programmierung, Fotografie, Grafik, Videoskulptur und Musik/Text wurzeln musikalisch im Beat und im Elektronik-Rock der 60-er und 70-er Jahre, dem Free Jazz und der klassischen Moderne, bildnerisch in der Pop Art, im Konstruktivismus, Futurismus, Dada und im zeitgenössischen Design.
Wir arbeiten nach wie vor in allen Bereichen der bildenden Kunst mit den Schwerpunkten audiovisuelle Medienperformance, Medien- und Webdesign und -programmierung (http://zone.grafzyx.at/zoneinside/links.html? filter=webp), frei künstlerisch wie angewandt.
Wie differenzieren sich die Genres: Video- Skulpturale- Medien- digitale Kunst?
Wir bezeichnen von Beginn an unsere Arbeiten als »Mediensynthetische Programme« und werden trotzdem diese Frage nach Schubladen nicht los. Damit sollen Begriffsjongleure Zeit verplempern, die Spaß an solchen Sinnlosigkeiten haben. Uns genügt es, wenn wir treffsicher Kunst und Schmarrn auseinanderhalten können - schwer genug, weil auch von Tagesverfassungen abhängig.
Welche Rolle hatte der theoretische Diskurs?
Kommt darauf an, wer ihn mit wem zu welchem Zweck führt.
Für die Arbeit ist ein aus einem Diskurs oder spontan generiertes theoretisches Konstrukt bestenfalls als Ausgangsbasis geeignet, wenn einem danach ist. Danach müssen die künstlerischen Entscheidungen kommen, von denen es abhängt, ob Theorie zur Kunst mutiert oder als Krampf endet.
Theoretischer Diskurs über Kunst ist letztlich Zeitverschwendung, weil es in diesem Diskurs eben um Fragen gehen muss, die Teil des nicht nur für Wittgenstein Unaussprechlichen und letztlich intellektuell nicht vollkommen erfahrbar und somit verbal auch nicht vollkommen diskutierbar sind.
Also beruht, das deckt sich auch mit unserer Erfahrung, jede theoretische Arbeit über oder gar auf Basis von Kunst - sei sie wertfreie Besprechung, Verriss oder auch die positivste Rezension - auf unaufklärbaren Missverständnissen. Es sei denn, die so herbeigesehnte »Aussage« einer Arbeit ist klar zu erkennen und verbalisierbar: Dann handelt es sich mit Sicherheit nicht um Kunst. Es sind also die nicht verbalisierbaren Elemente einer Arbeit, die ihre Qualität ausmachen und gerade die bleiben Theoretikern in der Regel verschlossen, die ja auch als Kuratoren und damit Skalierer der Werkhöhe von Kunst eine zweifelhafte bis lächerliche Rolle spielen, weil ihr Zugang zum Kunst-Pool eben nicht nur mangelhaft, sondern fiktiv und höchst privat ist. Ganz läppisch wird es, wenn Kuratoren Allüren entwickeln, sich als die eigentlich besseren Künstler feiern lassen, und einen Größenwahn leben, den sie mit so manchen Galeristen teilen.
(Obwohl wir auch unter »reinen« Theoretikern und Kunsthistorikern Freunde haben, die wir sehr schätzen, nennen wir sie spätestens in dem Moment ganz offen und öffentlich inkompetent, in dem sie den Bereich der wissenschaftlichen Analyse verlassen und selektiv-wertend agieren, weil sie zu diesen Bewertungen kommen wie die Jungfrau zum Kind - ohne Erfahrung der zugrunde liegenden Prozesse).
Existenziell bedeutsam für die Künstler und damit für die auf sie angewiesene Existenz von Kunst überhaupt ist dabei, dass diese und andere Verwerter von Kunst unter Ausnützung der Inkompetenz der Politik einen Weg gefunden haben, immer erfolgreicher Geld aus den eigentlich für die Produktion nötigen öffentlichen wie privaten Kunstbudgets abzuzweigen.
Wie hat sich dieser (theoretische Diskurs) in den Jahrzehnten verändert?
Die oben beschriebenen Defizite bei Selbsteinschätzung und Abgrenzungsfähigkeit werden noch weniger als solche empfunden.
Was bedeuten und bedeuteten für Euch die Begriffe: interdisziplinär - interaktiv - dezentral?
Interdisziplinär zu arbeiten war für uns immer eine selbstverständliche Waffe gegen langweilige Stumpfheit. Wir haben uns immer das zu einer umzusetzenden Idee oder auch Aufgabe geeignete Medium - klassisch oder »neu« - gesucht und nie umgekehrt.
Interaktive Eigenschaften einer Arbeit, die über Start und Stop hinausgehen, sind für uns keine wesentlichen, einfach weil ein bestimmendes Element in unseren Arbeiten fast immer der zeitliche/rhythmische Ablauf von Ereignissen ist, der Interaktivität ausschließt.
Es haben sich auch außer sozialpolitischen oder -therapeutischen, also kunstfernen, keine überzeugenden Argumente aufgedrängt, die den Einbau irgendeiner interaktiven Qualität wünschenswert machten und letztendlich sind tatsächlich viele hervorragend rezensierte interaktive Arbeiten sehr in der Nähe dessen, was schon vor vielen Jahren ein prominenter Schweizer Galerist kurzerhand »social bullshit« nannte, oder Kinderkram, die technische Umsetzung physikalischer Phänomene, programmierte Nachbildung von Natur mit pseudodemokratischem Hintergrund. Welchen Nutzen ein Kunstwerk aus wesentlichen Eingriffen des Publikums ziehen sollte, ist und bleibt unklar.
Mit »dezentral« assoziierbar wäre das Internet, wenn seine sprichwörtliche Grenzenlosigkeit bewahrt werden kann - siehe oben.
Es geht speziell um die Zeit vor 1995. Wie seht Ihr diese Zeit im Rückblick?
Vor 1995 = nach 1995. Warum gerade 1995? Vor 1995 und auch nach 1995 war die analoge wie die digitale Technik ungefähr 50 Mal so teuer wie heute und leistungsschwach. Das ist der Rückblick. Vor 1989 hat es überhaupt weder wirklich brauch- noch leistbare Soft- und Hardware gegeben, deshalb war die Künstlerkollegen-Konkurrenz geringer als heute und es wurde auch weniger Medienkunst produziert, ausgestellt und veröffentlicht.
Wird von den österreichischen Kulturträgern diese Zeit genügend dokumentiert?
Genügen kann in diesem Bereich noch lange nichts. Die österreichischen Künstler als eigentliche Kulturträger dokumentieren so gut es geht. Wenn andere Stellen gemeint sind: nein. Österreich ist beim Übersehen der eigenen Propheten nicht allein, aber doch Weltmeister im Schielen und Bewundern nach draußen und in der Missachtung des Inneren. Zudem importiert dieses ängstlich-charakterschwache Land der jahrhundertelangen Tradition lieber, als es exportiert, und ist auf dem besten Weg zum x-ten Rad des zeitgenössischen Kunstgeschehens.
Ist von Euren Arbeiten jemals etwas von einer Sammlung (Museum) angekauft worden?
Ja, von Bildern über Medienobjekte bis zu Musikvideos. Artothek Wien, BMUKK, Stadt Wien, Kunsthaus Zürich, Museum Georges Pompidou, Tiroler Landesmuseum, Innsbruck, Kunstmuseum Bonn (Sammlung Ingrid Oppenheim), ZKM, Sammlung Engel, Chicago und diverse private Sammler. Auftragswerke wie Emco Maier GmbH, Hallein, u. a.
In welchen Medien sind Eure Arbeiten dokumentiert?
In Printmedien wie Kunstforum International, nationaler und internationaler Ausstellungspresse, Ausstellungskatalogen. Einige ORF-Dokumentationen, Lehrfilme, Videokataloge und unsere eigenen Präsentationen im WWW. Liste der Rezensionen unter http://press.grafzyx.at.
Welchen Stellenwert hatte bzw. hat das Ars Electronica Center/Festival in Eurem Genre?
Wir haben natürlich auch eine Ars-Electronica-Vergangenheit, kurzfristig sogar eine überdurchschnittlich umfangreiche und prägende mit der Gesamtgestaltung der ORF-Videonale/Computerkulturtage (http://medienkunst.grafzyx.at/index.php?id=1128), sind aber wohl nicht zufällig fast spurlos aus den öffentlich zugänglichen Archiven der Ars Electronica wie Pornolinks aus der Browserhistory entfernt worden. Vermutlich war schon aus unseren damaligen Beiträgen eine distanzierte, vielleicht spöttische Skepsis der Ars Electronica gegenüber herauszulesen, einer Ars Electronica, die sehr bald aufgrund einer sehr erweiterten Definition von Kultur einen Hang zur Kulturlosigkeit erkennen ließ, der spätestens bei der Prämierung von Pixars perfekt animierter, aber infantiler Schreibtischlampe offensichtlich wurde. Zur kompetenten Kuratierung von Medienkunst gehören neben disziplinübergreifenden allgemeinen Erfahrungen eine kunst-, kultur- und kommunikationswissenschaftliche Bildung und praktische Kenntnisse in neuen Technologien, will man nicht auf den Zauber trivialer Effekte hereinfallen.
Die Ars Electronica hat ein Problem, weil sie sich aus Angst vor Bodenverlust nicht entschließen kann, sich endlich klar zur Medienkunst zu bekennen und störrisch von einem veralteten, pseudodemokratischen Kulturbegriff aus operiert, der mittlerweile derart inflationär ist, dass er rein gar nichts mehr bedeutet. Letztendlich ist mit Kultur heute alles gemeint, was sich an den Haaren herbeiziehen lässt, am wenigsten aber seltsamerweise die Kunst, die eigentlich der am ursprünglichsten legitimierte Kulturträger ist, im aktuellen kulturpolitischen Umfeld aber in kurzsichtiger Weise mehr und mehr ausgehungert wird.
Ähnlich wie Peter Weibel moniert, dass rein ökonomisch motivierte Entscheidungen für einen Investitionsstopp in die Kompetenz der Mitarbeiter in den Medien diese zu Medien der Unterschicht verkommen lassen, halten wir ein dominantes Quotendenken einer Institution für destruktiv, die sich irgendwann immerhin auch als Vertreterin einer Avantgarde innerhalb der elektronischen Medien beschrieben hat und den Begriff »Kunst« im Namen trägt.
Skurrilerweise sind gerade wir, die wir seinerzeit wie einige andere auch einen erweiterten Kunstbegriff gefordert, propagiert und in unserer gesamten Produktion umgesetzt haben, gezwungen, heute mit Überzeugung die Rückkehr zu einer elitäreren Auffassung von Kunst zu empfehlen, weil wir natürlich damals eine ressentimentlose Verschmelzung der Katalysatoren »Kunst« und »Kommerz« gemeint haben, und nicht, dass eine Kulturauffassung der Ungebildeten die Kunst sozusagen auffrisst und nur mehr von Massen, Politik und Medien gleichermaßen geliebte, weil ohne Rezeptionsanstrengungen versteh- und konsumierbare Events übrig lässt. Ist die Forderung nach dem »Original« in der Kunst im Zeitalter der digitalen Netz- und Medienkunst auch hoffnungslos überwuzelt, darf Kunst aber nach wie vor originär sein, originell zu sein ist für Kunst jedenfalls zu wenig. Die der Kunst als definitorisch fundamentale Eigenschaft inhärente Vielschichtigkeit wird einer von Politik und Sponsoren geforderten eindeutigen, verbalisierbaren und meist noch dazu banal-sozialpolitischen Aussage (auch von Künstlern mittlerweile vorauseilend) geopfert. Dieser Vorgang scheint wenn, dann nur durch eine konzertante Verweigerungshaltung aller Künstler diesen Vergewaltigungswünschen gegenüber umkehrbar zu sein - eine konsequent emanzipatorische und als solche zwangsläufig zumindest temporär radikale Vorgangsweise, die aufgrund des in einer mehr und mehr hungrigen Künstlerschaft vorherrschenden paranoiden Konkurrenzverhaltens nicht zu erwarten ist.
Wie seht Ihr die Rolle des AEC als Museum der Zukunft?
Im Wesentlichen nicht anders als die Rolle jedes anderen Museums, die fundamental unterschiedlich zu der eines Festivals oder einer Kunsthalle oder einer Galerie oder einer privaten Sammlung ist. Diese Rollen werden zur Zeit gern vermischt, müssten aber wieder sauber getrennt werden, will sich das Museum aus den Fängen des Zeitgeists und kommerzieller Lobbys befreien. Die Hauptaufgaben des Kunstmuseums sind und bleiben die Sammlung und die Dokumentation der jeweils zeitgenössischen Kunst nach möglichst objektiven oder klar definierten subjektiven, nicht nach irgendeinem Ranking wertenden Kriterien, auch des noch Unentdeckten. Entbehrlich im Vergleich zu dieser Tätigkeit, zu der wir sonst keine anderen öffentlichen oder privaten Institutionen verpflichtet sehen, ist der Parallelbetrieb einer Kunsthalle, einer Galerie, eines Festivals – noch dazu interessenkonflikterzeugend unter derselben Direktion.
Eingefügt und geringfügig redigiert aus http://www.servus.at/VERSORGER/83/grafzyx.html