Testskript

Humanic City

[1985]

SELBSTPORTRÄT DES KÜNSTLERS ALS NEUER SCHUH
Gottfried Distl

Durch ihre synthetisch-schrägen HUMANIC-Werberspots ist das Künstlerpaar INGE GRAF/ZYX längst zum Paradebeispiel für die gelungene Verbindung von Kunst und Werbung geworden, Schuh-Gigant HUMANIC revanchierte sich für die umsatzsteigernde Ästhetik der beiden Mediensynthetiker mit einer Schaufenster-Galerie.
Vom 18. April bis zum 4. Mai 1985 dient eine - Auslage der HUMANIC CITY im Wiener Verkaufszentrum Shopping City Süd dem Kunstduo als Selbstdarstellungsraum.

Seit der schuhschicken Vernissage - zu der trotz Büffet demonstrativ kein Kunstkritiker erschien - blinkt schwarzgelbes Acryl zwischen dem Angebot der Saison. Digitalisierte Silhouetten flimmern über malerisch drapierte Bildschirme während der differenziert-rhythmische GRAF/ZYX-Elektronik-Sound erbarmungslos in die Berieselungsidylle der Supermarkt-Muzak schneidet. Doch Vorsicht! Kunst degradiert sich hier nur scheinbar zum Display, zum verkaufsfördernden Pappkameraden im Warentempel. Wenn GRAF/ZYX gesichtslose Schlangenmenschen oder spitzbucklige Kobolde über Auslagenscheiben tanzen lassen, wenn sie kaufwütige Höhlenbewohner moderner Häuserschluchten mit- fluoreszierenden, atavistischen Zeichen konfrontieren oder wenn sie solarisierte Schemen mit Schuhnamen wie »Franzesco« oder »Carmen« auf die Video-Reise schicken, dann steht das Zeitgeist-Duo in bester österreichischer Kunst-Tradition. Die Bildenden Künstler der Jahrhundertwende gaben sich nicht damit zufrieden, fernab von der Öffentlichkeit in Ateliers und Galerien Farbe auf Leinwand zu pinseln. Sie zogen es vor, dem alltäglichen Leben ästhetische Gestalt zu verleihen, in Form von Büchern, Postkarten, Schränken und Stühlen. Die »Wiener Werkstätte« hob die Kunst aus den Untiefen der Eliten auf den Thron des »Kunstgewerbes«. Für Oskar Kokoschka war der heute gepriesene Jugendstil nichts andere als die »Verschönerung der Oberfläche«.

Dieses Bedürfnis, Kunst aus dem Ghetto zu befreien und im besten Sinn der Worte »angewandte Kunst« zu schaffen, lebt bei Inge GRAF/ZYX fort. Allerdings entsprechen die Produkte aus ihrem Hause dem neuesten Stand der Technik. GRAF/ZYX verwenden Luftpinsel und Metall, vor allem aber sind sie begabte Programmierer, die kreativ-futuristische Daten in den Computer eingeben. Jenseits von Moderne und Avantgarde zaubern sie magische Bilder aus der Trickkiste der Video-Technologie. Die Ästhetik unserer Zeit - technische Serienfabrikation, minuziös ablaufende Zeitpläne, periodisch bestimmte Intervalle - erscheint in einem Zerrspiegel vielfarbiger Monotonie.

Im Computerzeitalter wird die Welt zunehmend immateriell. Der Mensch ist beherrscht von Information und Technologie und damit verliert er seinen Stellenwert als Maß aller Dinge.

Die künstliche Welt der Medien wird zur alles bestimmenden Realität. GRAF/ZYX tragen dieser Entwicklung angstfrei Rechnung. In ihren Arbeiten dominieren Licht und Dynamik, der Mensch ist mitsamt den ihn umgebenden Dingen überschattet von Anonymität. Das klassische Verständnis von Kunst als die freie Äußerung eines autonomen Subjekts wurde von modernen philosophischen Erkenntnissen längst als Illusion entlarvt. Vorausgesetzt, die These stimmt, dann kann und braucht es dem in seine elektronischen Bauteile zerfallenen, entindividualisierten zeitgenössischen Künstler nicht mehr darum zu gehen, sein Selbst oder seine Persönlichkeit authentisch auszudrücken. Wie im Fall GRAF/ZYX ist er dann frei für überindividuelle Aussagen und dadurch gewinnt die Kunst ihren ursprünglichen gesellschaftlichen Nutzen zurück.

Außerdem sollten, seit Andy Warhol die wider jegliche humanistische Heuchelei gerichtete Losung »Business Art! Art Business! The Business Art Business!« ausgab, solipsistische Onanie und nostalgischer Genie-Kult längst aus der aktuellen Kunstszene verschwunden sein. Dia Futuristen der Zwanziger Jahre versuchten Technik, Wissenschaft und Ästhetik zu verbinden. Aber erst die Entindividualisierung der Kunst macht es möglich, als viertes und - bei GRAF/ZYX - wesentliches Element den Bereich »Marketing« hinzuzunehmen. GRAF/ZYX verstehen sich als Designer zwischen Erfindung und Funktion. Leichten Herzens stellen sie sich selbst dar als- Schuh mit Namen »Bugatti« oder »Newport«. HUMANIC ist zwar der moderne Mäzen, aber der Geldgeber tritt hinter seiner Handelsware zurück. Im Vordergrund steht der Schuh und GRAF/ZYX identifizieren sich auf künstlerischer Ebene mit dem Objekt. Firmenmarketing als Selbstdarstellung ist »Konsumkunst« in ihrer reinsten Form. Schablonisierte präformierte Bilder werden, elektronisch gesteuert, zu Individuen aus der Retorte und in ihren elektronischen Teilchen zu reiner Empfindung und zu abstrakter Kunst als Schmuck, wobei Form nicht nur als Schönheit aufscheint, sondern auch als Form gewordener Gedanke.

In den westlichen Demokratien ist der Künstler Unternehmer, dessen Produkte insofern nützlich und sozial sind, als sie nicht einem Selbstzweck, der eigenen Glorie dienen, sondern dem gesellschaftlichen Ganzen. Selbstverwirklichung impliziert - wenigstens im Bereich der »Konsumkunst« - auch die Verwirklichung des »Anderen«.

© Gottfried Distl